Zeitreise
Mittwoch, 06. Mai 2020
Privat S2 • E7
Rendsburg
Im Obergeschoss dieses Hauses befand sich meine erste eigene Wohnung.
Lesedauer: 4 Minuten
Wie einige von euch vielleicht wissen, trat ich nach meinem Abitur 1994 am 01.10.1994 meinen Dienst bei der Bundeswehr an. Ich tat dies bei der 3. Batterie des Panzerflugabwehrraketenlehrbataillons 610 (PzFlaRakLehrBtl 610) in Rendsburg und ich tat dies als Reserveoffzieranwärter und nicht als regulärer Grundwehrdienstleistender.Ich leistete meinen Dienst mit unmittelbarer Führungsverantwortung stets zur vollsten Zufriedenheit meiner Einheitsführer auf den unterschiedlichsten Führungsebenen und als ich meinen Reserveoffizierlehrgang dann noch mit der besten Kombination aus Gesamtnote und -beurteilung absolvierte, da kam mein Batterie-Chef Hauptmann Hamann auf mich zu und meinte nur Tim, kannst du dir vorstellen, an deine zwei Jahre Verpflichtungszeit noch zehn weitere ranzuhängen? Dafür könntest du dann auch unter Bezügen an einer der Bundeswehruniversitäten studieren!
Mir gefiel die Idee, hatte ich ursprünglich ja Strahlflugzeugführer bei der Luftwaffe werden wollen... Mein Chef drehte ordentlich die Werbetrommel! Ich bekam Aufträge, die die Verantwortung angesichts meines Dienstgrades schon deutlich überschritten. Er fuhr sogar mal einen ganzen Tag mit mir allein an die Universität der Bundeswehr in Hamburg, zeigte mir den Campus, stellte mir Professoren vor und wir besuchten sogar zwei Vorlesungen...
Ich entschied mich für einen Versuch und aufgrund des bestandenen Reserveoffizierlehrgangs ging es dann mit Offizierpatent – oder anders gesagt vorhandener Offiziereignung – zur Offizierbewerberprüfzentrale (OPZ) nach Köln. Meine drei Wunschstudiengänge waren damals:
- Vermessungswesen
- Betriebswirtschaftslehre
- Pädagogik
Auf dem Weg sagte er mir mit resignierter Stimme Na, die Tests sind bei Ihnen ja nicht so gut gelaufen! Weil ich darauf vorbereitet war, das gute alte „Guter Cop-schlechter Cop-Spielchen“ zu erleben, antwortete ich ihm kurz und knapp Vielleicht kein Top-Ergebnis aber bestimmt im oberen Mittelfeld.
Das Abschluss-Interview hatte nämlich schon begonnen! Er stichelte weiter Hoffentlich sind Sie dann gleich nicht enttäuscht?! Was machen Sie eigentlich, wenn es für Sie hier gleich zu Ende ist? Ich antwortete ihm Dann studiere ich an einer zivilen Universität und die Bundeswehr verliert einen ziemlich guten Offizieranwärter.
Das war das letzte Mal, dass er mich zu provozieren versuchte. Während des eigentlichen Interviews sagte er zu meiner Verwunderung kein Wort mehr! Vielleicht weil es um meinen bis dato geleisteten Dienst und die dort gezeigten Leistungen ging? Aber es war auch verdammt schwer, bei den kontinuierlich guten bis sehr guten Beurteilungen und Lehrgangsergebnissen ein Haar in der Suppe zu finden.
Das sagte er mir dann bei der Verkündung des Ergebnisses. Nicht nur, dass man die Beurteilungen aus den Beobachtungen der letzten eineinhalb Tage nur bestätigen könne, Ihm habe zusätzlich gefallen, dass ich trotzt der Provokationen eine gute Selbsteinschätzung habe und ich weiterhin freundlich und zuvorkommend, aber bestimmt geantwortet habe. Andere ziehen dann den Schwanz ein.
Das alte Unterkunftsgebäude der 1. und 4. PzFlaRakLehrBtl 610.
Ein Oberstleutnant – Leiter der Kommission – eröffnete mir dann das Ergebnis. Wir würden sie gern in die Laufbahn der Offiziere übernehmen. Was wollen Sie denn studieren? Und jetzt zögerte ich! Shit, hab ich echt ne Wahl? ging mir durch den Kopf.Ich versuchte Zeit zu gewinnen, indem ich meinen spontanen Gedanken etwas besser formulierte. Der am Tisch sitzende Studienberater antwortete Was immer Sie wollen. Elektrotechnik, wie ihr Chef? Könnten wir in der Heeresflugabwehr gut gebrauchen. Jetzt ging mir richtig die Düse! Ich hatte bei den in Richtung Vermessungswesen und damit Ingenieurwesen gehenden Tests schon gemerkt, dass mir das eher schwer fiel und so zog ich doch den Schwanz ein!
Betriebswirtschaftslehre antwortete ich. Warum nicht Ihren Erstwunsch Vermessungswesen? fragte mich der Studienberater. Was nützt mir der Dienst bei der Bundeswehr, wenn ich das Vordiplomen nicht schaffe und dann nach sechs bis acht Jahren ohne irgendeine Ausbildung in die Wirtschaft komme? BWL schließe ich bestimmt erfolgreich ab. Der Studienberater blickte zu meinem gehassten Hauptmann rüber, der seinen Blick grinsend mit einem Zwinkern erwiderte.
Der Kommissionsleiter fragte dann noch mal Ok, Sie wollen also verlängern und wählen den Studiengang Betriebswirtschaftslehre? Ich antwortete Ja, gerne Herr Oberstleutnant! und hatte damit alles eingeleitet, um meine Seele für zehn weitere Jahre zu verkaufen. Und bevor ihr jetzt glaubt, meine Tests seien so gut gewesen, dass ich die freie Studienwahl hatte. Dem war nicht so! Man wollte die Führungskraft in mir behalten und war bereit, mir einiges zu bieten.
Ich blieb auch als Offizieranwärter bis zum Studienbeginn 1997 in der 3. PzFlaRakLehrBtl 610 und damit in meinem geliebten Rendsburg. Ende 2000 begannen dann die Verwendungsgespräch für die Zeit nach dem Studium mit meinem Personalreferenten.
Die Dinge wiederholten sich. Ich hatte eine starke Präferenz, nach Rendsburg zurückzukehren. Meine Eltern wohnten nur 90 Fahrminuten entfernt, mein Bruder mit seiner Familie nur 20 Fahrminuten entfernt, die Heeresflugabwehrschule als Karrierechance ohne Umzug vor Ort und dann eben diese für meinen Geschmack unheimlich viel bietenden, mittelgroße, schnuckelige Stadt zwischen den Meeren.
Der Personalreferent eröffnete mir, dass sich alle drei Bataillonskommandeure bei ihm gemeldet hätten und mich gerne in ihren Reihen hätten. Es waren also die Standorte Wuppertal, Fuldatal und Rendsburg im Topf. Bingo dachte ich und antwortete kurz und knapp aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht Dann geht es zurück nach Rendsburg.
So ging es keine zwei Wochen vor dem vor Corona einschneidendsten Ereignis meines Lebens – den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11.09.2001 – zurück in mein geliebtes Rendsburg zur 4. PzFlaRakLehrBtl 610 und das in meine erste eigene, zwar kleine aber wirklich coole Wohnung.
Die alten Panzerhallen meines 1. Zuges der 4. PzFlaRakLehrBtl 610.
Etwa ein Jahr später fiel dann die politische Entscheidung, die effektivste, besttrainierteste Einheit der Heeresflugabwehr – das PzFlaRakLehrBtl 610 – aufzulösen. Und etwa ein weiteres, sehr abwechslungs- und erlebnisreiches Jahr später verließ ich dann mein geliebtes Rendsburg zunächst für ein kurzes Intermezzo nach Fuldatal und dann letztlich zur Führungsakademie in Richtung Hamburg.Seit dem bin ich immer mal wieder neugierig durch mein Rendsburg gefahren, besonders nachdem die ehemalige Garnisonsstadt die Schließung aller militärischer Einrichtungen verkraften musste.
Als ich nun im Februar mal wieder bei meinem Bruder war, tat ich dies auf dem Rückweg auch wieder. Allerdings fuhr ich diesmal auch und damit erstmals seit meiner Abkommandierung vor etwa 16 Jahren in die ehemalige Rüdel- bzw. Feldwebel-Schmid-Kaserne, dem Dienstort mit der für mich längsten Standzeit.
Ich war mental auf den schlimmstmöglichen Anblick vorbereitet und ich muss sagen, als ich als erstes unsere ehemaligen Panzerhallen sah, da war ich irgendwie schon ein wenig traurig. Viele schöne Erinnerungen an diese ehemals belebten Orte kamen hoch. Und jetzt war da nur noch Leere. Zumindest waren die Hallen noch gut in Schuss.
Ich fuhr weiter in Richtung des ehemaligen Kommandeurgebäudes und das war zwar völlig leerstehend, machte aber immer noch einen guten Eindruck. Genauso die Unterkunftsgebäude, in denen die Einheiten, in denen ich gedient hatte, untergebracht waren. Gerade im Bereich der ehemaligen Gebäude der Heeresflugabwehrschule gab es sogar zivile Nutzung und damit eine bessere Pflege der Gebäude.
Das zu meiner Zeit hochmoderne Unterkunftsgebäude der Heeresflugabwehrschule, eine Gebäude des Standards Kaserne 2000 mit Einzelzimmern für die Lehrgangsteilnehmer, war allerdings genauso wie die Sporthalle und der ehemalige Exerzierplatz eingezäunt! Kein schöner Anblick. Warum?
Nun, dort stehen nun Wohncontainer in zwei oder drei Etagen gestapelt dicht an dicht nebeneinander. Der Bereich ist Landesunterkunft für Flüchtlinge des Landes Schleswig-Holstein und der Anblick eines bewachten NATO-Draht-Zaunes innerhalb eines eh schon umzäunten Bereichs bedrückte mich nachhaltig!
Aber es gibt auch noch ein paar positive oder vielleicht lustige Veränderungen in der Nähe meiner ehemaligen Kaserne! So gibt es die Würstchenbude Mr. Bratwurst unverändert und die ist immer noch richtig gut in Schuss. Ein Ort, den Kameraden und ich, als ich noch in der Kaserne lebte, abends mindestens alle zwei Wochen für ne leckere Currywurst mit Pommes anliefen...
Die alten Panzerhallen der 3. PzFlaRakLehrBtl 610.
Und irgendwie glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen... Es gab bis zur Schließung der Kaserne ein Bordell namens Bar Mon Ami und das lag direkt neben dem Offizierheim. Das Offizierheim in der Kaserne und das Bordell direkt am Zaun außerhalb der Kaserne. Und es gab schon immer Gerüchte, dass es eine geheime unterirdische Verbindung, einen Tunnel, zwischen den beiden Gebäuden gäbe. Jetzt war das Bordell plötzlich ein türkischer Gemüseladen.No way dachte ich und prustete los, als ich daran vorbeifuhr. Wenn die geschäftstüchtigen neuen Besitzer wüssten, welche Geschichte ihr Gebäude hatte und welches Business es früh beheimatete...
Naja. Insgesamt war dies ein interessanter Besuch, der viele Erinnerungen an tolle, abenteuerliche und vor allem erfolgreiche Zeiten in mir erweckte. Eine Zeitreise, die gerade meine militärische Vergangenheit und damit eine der wohl aufregendsten Zeiten meines Lebens wieder mehr in mein Bewusstsein brachte.
Habt ihr solch eine Zeitreise auch schon unternommen und was hat diese in euch bewirkt?
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Über mich
Ich bin ein liebevoller Vater, Candourist, Stoiker, Agilist, Product Owner, Hauptmann der Reserve, Diplom-Kaufmann und ausgebilderter Verkehrspilot (ATPL-Credit).
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