Widerlich aber genial

Sonntag, 03. März 2019
Serie Kino S1 • E7
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Lesedauer: 6 Minuten

Habt ihr schon mal einen Kino-Trailer gesehen, der euch schon angesprochen hat, bevor ihr überhaupt wusstet, wie der Film heißt, worum es geht und von wem dieser angepriesene Film ist?

Mir ging es mit Der goldene Handschuh definitiv so! Im Trailer sah man das typische Kneipenmilieu St. Paulis in den 70er Jahren. Der Hauptdarsteller sah aufgrund seiner krummen Nase nach einem Boxer aus und es gab ein paar witzige Szenen zu sehen. Als dann am Ende auch noch der Name Der goldene Handschuh gezeigt wurde und dass dies ein Film von Fatih Akin ist, war für mich klar, dass ich den Film aus dem Boxer-Milieu St. Paulis sehen wollen würde.

Zwischenzeitlich bekam ich dann von zwei Arbeitskollegen weitere Infos über diesen Film. So erfuhr ich, dass Der goldene Handschuh eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Heinz Struck sei. Den kennt ihr bestimmt durch Studio Braun, die Mockumentary über die fiktive Elektropop-Band Fraktus oder eben durch seinen Erfolgsroman Fleisch ist mein Gemüse.

In diesem prämierten Roman geht es um die Taten und das Leben des Serienmörders Fritz Honka und eben nicht um eine Persona aus dem Boxer-Milieu, was mich immer noch nicht abschreckte.

Erst als der Film dann auf der Berlinale angelaufen war und zum Teil in die Horror-Genre-Schublade geschoben wurde, bekam ich Zweifel, ob ich den Film wirklich noch sehen wolle. Horror ist halt nicht meins. Diese Zweifel wurden dann abermals durch eine Aussage eines weiteren Kollegen unterbewusst verstärkt. Was dieser sagte, werde ich in meinem Fazit nennen.

post_0746_widerlich_aber_genial_2 Mein lauwarmes Bollywood Curry im ChilliClub.
Meine übliche Kinobegleitungen sind zwar generell von Fatih Akins Filmen durchaus angetan, hatten ihrerseits aber von Freunden schon Details über den Film erfahren und wollten diesen Film anschließend auf keinen Fall mehr sehen. Oha dachte ich. Der Film scheint zu polarisieren! Das wiederum bestärkte mich in der Entscheidung, den Film schauen zu wollen und so freute ich mich, als ein Arbeitskollege mich fragte, ob ich den Film nicht sehen wolle.

So trafen wir uns gestern Abend in der Hamburger Hafencity, um zunächst im völlig überteuerten Restaurant ChilliClub ein bisschen was zu essen und über seine gerade erst absolvierte Indien und Nepal-Rundreise zu sprechen. Anschließend ging es dann in das nur wenige Meter entfernte neue Premium-Kino Astor, um in dessen größten und ausverkauften Saal 1 mit 235 anderen Zuschauern diesen kontrovers diskutierten Film von Fatih Akin zu sehen.

Wie ich schon schrieb, geht es in dem Film um die Taten und das Leben des Serienmörders Fritz Honka. Dieser als Hilfsarbeiter sein Geld verdienende Hamburger ist, wahrscheinlich aufgrund mangelnder Schulbildung, eher am Boden der Gesellschaft gelandet. Fiete, wie ihn seine Freunde nennen, verkehrt dabei im Milieu total abgestürzter Gestalten auf St. Pauli.

Bevorzugter Rückzugsort ist dabei die etwas heruntergekommene Kneipe Der goldene Handschuh am Hamburger Berg, wo er mit Freunden wie Soldaten-Norbert, Tampon-Günther, Anus, und Doornkaat-Max säuft und raucht. Dabei versucht der durch einen Unfall im Gesicht entstellte Honka immer wieder bei seinem Alter entsprechenden Frauen zu landen. Diese wollen mit ihm aber nichts zu tun haben und lehnen Getränkeeinladungen von ihm kategorisch ab. Nee, der is mir zu hässlich!

post_0746_widerlich_aber_genial_3 Der Red Thai Wok mit Black Angus Beef meines Kollegens im ChilliClub.
In ihm steigt durch diese stetige Ablehnung und Erniedrigung generell der Frust den Frauen gegenüber und er schleppt letztlich wirklich immer nur den Bodensatz der im Goldenen Handschuh verkehrenden Klientel ab. Dabei handelt es sich meist um völlig mittellose, verwahrloste, alte und teils obdachlose Frauen, kurz völlig gescheiterte Existenzen.

Diese Frauen zwingt er dann im totalen Suff zu übelsten Sexualpraktiken und wenn es dann bei ihm mal nicht so läuft oder es Gegenwehr gibt, dann endet das für die Frau schon mal tödlich. Gut für Honka dabei, dass diese Frauen von Niemandem vermisst werden und die Polizei dadurch auch nicht von den Morden erfährt.

Am Ende des Films erfährt die Polizei dann durch Zufall aber doch von seinen Taten und er wird verhaftet.

Ich muss sagen, dass ich irgendwie froh war, als der Abspann anfing zu laufen. Irgendwie war dieser Film von den Vorgängen her so widerlich, dass ich die drei Frauen, die ich das Kino habe vorzeitig verlassen sehen, eigentlich gern begleitet hätte.

Dies nun so als Filmkritik stehen zu lassen, würde aber weder dem Regisseur Fatih Akin noch den Schauspielern und damit dem Film an sich gerecht! Es ist schließlich die Geschichte eines psychisch und Alkohol-kranken Serienmörders, der wirklich im übelsten Milieu auf St. Pauli unterwegs war.

Durch den Teaser zum Film, indem das völlig versiffte Milieu mit seinen total gescheiterten Existenzen gezeigt wurde, wurde in mir ja durchaus Interesse getriggert. Ich ahnte damals und auch nach den teils kryptisch verpackten Erzählungen meiner Kollegen im Vorwege nicht, dass es so übel kommen würde!

post_0746_widerlich_aber_genial_4 Die Kneipe Zum goldenen Handschuhe am Hamburger Berg in der Nähe der Reeperbahn.
Und genau das ist eigentlich ein absolutes Prädikat für die am Film beteiligten Personen! Der Film ist bis in die kleinsten Details so genial inszeniert und die schauspielerische Leistung ist so dermaßen realistisch, dass man zu 100% in dieses von Suff, Frust und Siff geprägte Umfeld eintaucht. Das ist natürlich jedem normalen Menschen ziemlich zu wider und wenn man so was dann nur schwer ertragen kann, dann verlässt man schon mal frühzeitig die Filmvorstellung.

Trotzdem schafft es der Film nicht, dem Zuschauer die vollen Hintergründe zu Honka und seinen Taten zu vermitteln. Im gleichnamigen Buch von Heinz Struck soll sich ein Großteil nur darum drehen. Das fehlt dem Film definitiv. Kurz die Tragik der Hauptfigur wird im Film nicht dargestellt.

Auch tritt ein Jugendlicher mit einem wahrscheinlich gleichaltrigen Mädchen im Film als Nebengeschichte auf. Dieser Nebengeschichte fehlen aber entscheidende Informationen und stellt damit einen Missing Link zu Honka dar. Die Nebengeschichte scheint überflüssig, aber nur, weil der Film die Hintergründe zu diesen Personen nicht darstellt.

Ein Arbeitskollege sagte am letzten Donnerstag zu dem Film, den er am Vorabend mit seiner Freundin gesehen hatte: Wenn man das Buch liest, dann macht man sich im Kopf ja ein Bild vom Umfeld und den Vorgängen. Als ich den Film sah, wurden diese Bilder in meinem Kopf aber noch weit übertroffen.

Das war Donnerstag für mich noch so was wie eine Nullaussage, denn filmisch kann man halt Dinge darstellen, die man sich vielleicht mangels Erfahrung oder auch generell nicht vorstellen kann. Während des Films wurde mir klar, was mein Kollege mir da eventuell etwas kryptisch sagen wollte.

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Für mich war während des Schauens des Filmes klar, dass dieser Film keine Topwertung von mir bekommen wird. Es war zum Teil einfach unerträglich, was man sich da anschauen musste und das obwohl Sexualpraktiken und die Zerstückelung der Leichen ja nur angedeutet wurden! Ich schwankte im Film zwischen einem und zwei Sternen als Bewertung.

Jetzt, wo ich den Film ein bisschen hab sacken lassen und das Erlebte detaillierter betrachten und verarbeiten konnte, möchte ich dem Film aber drei Sterne geben. Das Widerliche und nur schwer zu ertragende diese Filmes führt zu einem Stern. Die perfekte und detailreiche Inszenierung Fatih Akins verdient fünf Sterne. Das macht in der Summe für mich in der Bewertung drei Sterne.

Ich möchte aber sicherheitshalber doch auch noch mal darauf hinweisen, dass dieser Film wirklich absolut nichts für zart besaitete Persönlichkeiten ist. Der Film ist ein Schocker! Allen Frauen würde ich wärmstens empfehlen wollen, sich sehr gut zu überlegen, ob man dem gewachsen wäre, was da vermeintlich auf einen zukommt! Es gibt viel zu ertragen und zu verarbeiten.

Der Film ist mit Sicherheit kontrovers zu diskutieren, also lasst mich gern wissen, wie ihr den Film wahrgenommen und verarbeitet habt! Zu welchen Schlüssen seid ihr gekommen?
Kommentar der Redaktion:

Mein Kollege und ich fuhren nach der Vorstellung noch mal an der Kneipe Zum goldenen Handschuh vorbei, um dort evtl. noch einen Absacker zu trinken. Der Laden war aber knüppel-dicke voll mit jungen Leuten. Scheint, als sei vielleicht auch durch die Publicity des Films die Klientel im goldenen Handschuh gehoben worden...


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