Selbstzweifel trotz Kompetenz (Teil 1)

Donnerstag, 15. April 2021
Serie Business S2 • E2
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Lesedauer: 8 Minuten

Kennt ihr Menschen, die eigentlich sehr gute Arbeit leisten und reichlich Grund hätten, ihre Erfolge zu feiern? Schreiben diese Menschen ihre Erfolge stets eher einem gewissen Timing, äußeren Umständen oder sogar dem puren Glück zu, statt ihre eigene Kompetenz als Grund dafür zu sehen? Wehren diese Menschen jedwedes Kompliment oder Lob ab und merken evtl. gar nicht die hohe Anerkennung, die sie mit ihrer überdurchschnittlich guten Arbeit erfahren? Sind diese Menschen evtl. auch zeitlich deutlich stärker in die Arbeit involviert?

Dann habt ihr es wahrscheinlich mit einem Tiefstapler mit überdurchschnittlich ausgeprägten Selbstzweifeln zu tun! Und anders als ihr jetzt vielleicht vermutet, handelt es sich dabei nicht um eine Krankheit, sondern um eine Charaktereigenschaft bzw. ein Persönlichkeitsmerkmal, das auch unter dem Namen Impostor-Phänomen oder aber auch Hochstapler-Phänomen bekannt ist. Wieso aus einem Tiefstapler plötzlich ein Hochstapler wird, wie sich ein Mensch überhaupt hin in eine solche Charakterausprägung entwickelt und welche Auswirkungen seine Selbstzweifel haben können, das möchte ich mit euch in diesem ersten von zwei Teilen betrachten.

In diesem Falle kann ich vermutlich ein wenig aus meiner eigenen Lebenserfahrung beitragen, um das Thema etwas besser greifbar für euch zu machen.


Was führt zu Selbstzweifeln und dem Glauben an die eigene Unzulänglichkeit?

Seit dem ich denken kann, stand ich gefühlt immer im Schatten meines älteren Bruders. Sportlich und schulisch stets erfolgreich, bekam er aus meiner Sicht immer eine hohe Anerkennung seitens meiner Eltern und das auch absolut berechtigt. Ein Vorbild!

Ja und dann war da ich. Schulisch eher durchschnittlich und das obwohl der gemeinsame Grundschul-Klassenlehrer meinen Eltern beim Beratungsgespräch zur Anmeldung auf eine weiterführende Schule klar sagte, dass sie mich auf dem Gymnasium in Ratzeburg anmelden und sich keinerlei Sorgen machen sollten. Er zog sogar den direkten Vergleich zum erfolgreichen Bruder und sagte Tim ist besser als er. War ich evtl. zu sensibel und damit zu leicht extrinsisch demotivierbar? War ich in der Schule evtl. auch schlicht unterfordert?

Und dann war da noch ich, der Sportler. Direkt vergleichbar ist da eine Ruderkarriere in der Jugend, in der ich als Schlagmann und damit Team-Kapitän und verlängertem Arm des Trainers nicht nur mehrfach Landesmeister wurde, sondern auch dritter auf deutschen Meisterschaften. Aber mein Bruder war es, der bei Jugend trainiert für Olympia den ersten Platz erzielte und dafür ganz physisch und real von meinen Eltern bei seiner Rückkehr den roten Teppich vor der Haustür ausgerollt bekam... Ich bei meinen Triumphen nicht!

Dieses Bild hat sich bei mir eingebrannt. Ganz, ganz tief. Und es hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit meinen Charakter geprägt. Dieses Bild hat mich mit der für viele Jahrzehnte unbeantworteten Frage zurückgelassen, was ich denn noch alles tun muss, damit ich mal ansatzweise ein Wahrnehmung erfahre? Die Geburtsstunde meiner Selbstzweifel, meines Impostor-Phänomens und damit auch meiner jahrzehntelangen Tiefstapelei.

Die in der Kindheit erfahrene Erziehung hat also starken Einfluss auf die Stärke dieser Charakterausprägung und das beschrieben auch schon die beiden Psychologinnen Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes, die den Begriff des Impostor-Phänomens 1978 einführten.


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Was steckt hinter dem Impostor- oder Hochstapler-Phänomen?

Im Prinzip steckt hinter dem Impostor-Phänomen die Angst, das Umfeld könne feststellen, dass man selber überhaupt keine Ahnung hat. Im weitesten Sinne, anderen oder einen gewissen Norm nicht zu genügen, schlicht unzulänglich zu sein. Als Betroffene(r) fühlt man sich als Hochstapler (engl. impostor) und das obwohl einen das Umfeld eher als Tiefstapler wahrnimmt.

Ich habe dazu eine schöne Grafik gesehen, auf der das Selbstbild des vermeintlichen Hochstaplers und eben das Fremdbild abgebildet waren. Im Selbstbild steht ein fast nackter Mann mit Strümpfen, roter Krawatte und einer Papiertüte über dem Kopf der sagt Ich bin nackt, unfähig und alle anderen werden es merken..

Auf der anderen Seite, der Seite des Fremdbildes steht ein smarter, hübscher Brillenträger im schwarzen Anzug mit roter Krawatte und braunen Schuhen und aus dem Nirgendwo sagt jemand Toller Typ! So bescheiden und gleichzeitig kompetent.

Kurz gesagt, das Impostor-Phänomen basiert auf Ängsten, die einer gestörten Selbstwahrnehmung entsprungen sind. Diese gestörte Selbstwahrnehmung ist meist mit einem überdurchschnittlichen Verständnis von Kompetenz, einer durchaus diskussionswürdigen Definition von Erfolg und / oder einer großen Angst vor kritischem Feedback begründet.


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Welche Ausprägung des Impostor-Phänomens gibt es?

Das Impostor-Phänomen tritt mit unterschiedlichen Ausprägungen, sogenannten Typen auf. Einige sind eher unkritisch. Dazu gehört beispielsweise der häufigste Typ, der der Naturtalente, die eben Dinge auch ohne große Anstrengung erreichen können. Dennoch sind sie voller Selbstzweifel, weil andere Kollegen sich viel mehr quälen müssen, um das gleiche Ziel, den gleichen Erfolg zu erreichen.

Zu den noch vergleichsweise unkritischen Typen gehört auch der sogenannte Experte, der sich regelmäßig auch privat weiterbildet, um so das Risiko zu minimieren, doch noch als Hochstapler ausgemacht zu werden.

Schon eher in den kritischen Bereich einzuordnen sind die sogenannten Einzelgänger, die lieber alles alleine erledigen, einfach um dem Umfeld die Möglichkeit zur Feststellung der eigenen Unzulänglichkeit zu nehmen. Das führt zu Vereinsamung und damit auch gesundheitlich negativen Auswirkungen auf den Impostor.

Bei den drei verbleibenden Typen muss man deutlich von kritischen und stark gesundheitlich gefährdeten Typen sprechen. Da ist zum einen der Perfektionist, der immer alles gibt, nichts dem Zufall überlässt und so versucht alle nur erdenklichen Fehler im Vorwege auszuräumen, um nur keine Angriffsfläche zu bieten, die das Umfeld zur Erkennung seiner vermeintlichen Unzulänglichkeit nutzen könnte.

Äußerlich recht ähnlich sind die Arbeitstiere, die immer länger arbeiten, als ihre Kollegen und einer gewissen Hero-Culture frönen, also gern zusätzlich Aufgaben annehmen. Im Gegensatz zu den Perfektionisten tun sie dies allerdings, um dem im Kopf vorhandenen Gefühl der Unzulänglichkeit durch beispiellosen Einsatz am Arbeitsplatz entgegenzutreten. Dennoch zählt man sowohl den Perfektionisten als auch das Arbeitstier zu den sogenannten Over-Doern.

Dem Over-Doer steht mit dem Prokrastinierer oder Aufschieber ein als Under-Doer bezeichneter Typ gegenüber, der die notwendige Arbeit so lange aufschiebt, bis er quasi durch kurzfristigen, weit überdurchschnittlichen Einsatz zum Arbeiten gezwungen ist. Mit diesem inversen Ansatz will er nach Außen sicherstellen, dass man Zeitmangel als Grund eines möglichen Scheiterns sieht und nicht die im Selbstbild vorherrschende mangelnde Kompetenz.


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Welche Auswirkungen können diese Selbstzweifel haben?

Die generell beobachtbare Auswirkung besteht darin, dass Betroffene sich ihnen bietende Karrierechancen meist ausschlagen. Das schaffe ich nicht. Das kann ich nicht. Das ist zwar schade aber die Betroffenen führen meistens trotzdem ein erfülltes, glückliches Leben.

In den kritischen Ausprägungen des Impostor-Phänomens haben die Selbstzweifel und die daraus resultierenden, kompensatorischen Muster aber deutlich negativere Auswirkungen auf das Leben des Betroffenen. Diese Auswirkungen sind nicht selten so stark, dass sie ein absolut gesundheitsgefährdendes Level übersteigen!


Woran kann man gesundheitsgefährdende Selbstzweifel in der Arbeitswelt erkennen?

Häufig liegt bei gesundheitsgefährdender Ausprägung des Impostor-Phänomens neben dem Abtun der eigenen Leistung auch ein nach Außen offenkundiger Workaholismus vor.

Die Work-Life-Balance ist eben zu Lasten des Lebens nicht mehr ausbalanciert, was dazu führt, dass Körper und Psyche dauerhaft zu starken und damit zerstörerischen Belastungen ausgesetzt sind. Selbst in längeren Urlaubsphasen setzt keinerlei Erholung von Körper und Psyche mehr ein. Auch dies kann im Umfeld wahrgenommen werden und es lohnt sich ohne Hysterie mal genauer hinzuschauen.

Körperlich liegt bei den gesundheitsgefährdend Betroffenen unglaublich viel Stress und psychisch ein kaum nachvollziehbarer Leidensdruck vor, der im schlimmsten Falle zu Essstörungen, Depression oder Burn-out führen kann. Wie man das erkennt und was das bedeutet, sollte euch wohl klar sein...

Hat man solch ein auffälliges Verhalten – vielleicht auch an sich selbst – beobachtet und vor allem sachlich verifiziert, dann stellt sich meist die Frage, was man als Freund, Bekannter oder Betroffener möglichst frühzeitig dagegen tun kann? Oder vielleicht für den einen oder anderen von euch eher interessant, was könnte man als Vorgesetzter bedenken und tun, um dem eigentlich erfolgreichen Mitarbeiter aus der selbstzerstörerischen Abwärtsspirale zu helfen? Das möchte ich in einem zweiten und abschließenden Teil nächsten Donnerstag mit euch betrachten.

Habt ihr auch eigene Erfahrung mit dem Impostor-Phänomen? Wie immer würde ich mich über euer Feedback zu diesem Post sehr freuen.


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