Philosophie des 10. Mannes

Donnerstag, 19. Mai 2022
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Lesedauer: 6 Minuten

Warst du auch schon mal in einem fast schon cliquenhaft anmutenden Arbeitsumfeld, in dem Entscheidungsträger wirklich auf absolut der gleichen Wellenlänge sind und eine Fehlentscheidung nach der anderen treffen, ein Projekt nach dem anderen an die Wand fahren und das alles nur, weil sie sich in all ihrer Harmonie so schön einig sind?

Kritische Stimmen werden in einem solchen Umfeld häufig gar nicht mehr oder aber als massiv störend wahrgenommen. Der Dauernörgler erblickt das Licht des Arbeitsumfeldes und die Schwarmintelligenz wird erfolgreich ad absurdum geführt...

Ein solches Umfeld ist gefährlich, weil es aufgrund der Cliquenbildung meist auch nicht zu einer echten, retrospektiven Betrachtung des Scheiterns kommt. Ganz im Gegenteil, andere tragen die Verantwortung für das Scheitern. Man hilft sich gegenseitig, mögliche eigene Mängel durch fremde Einflüsse begründen zu können. Die Clique redet sich das Scheitern förmlich schön und neigt dazu, mangels kritischer Selbstreflexion und den daraus eigentlich resultierenden Learnings, die gleichen Fehler abermals zu begehen.

Was nun aber tun, um ein solches, cliquenhaftes und vom ständigen Scheitern betroffenes System zu gesunden? Da gibt es die Regel des zehnten Mannes. Wie diese entstanden ist und funktioniert, sowie was diese mit Israel und dem Roman bzw. Film World War Z zu tun hat, dass möchte ich dir in diesem Post näher bringen.


Was ist die Regel des zehnten Mannes?

Die Regel des zehnten Mannes besagt, dass in einer, zu einer Problemlösung versammelten Gruppe von zehn Personen, der zehnte Mann (oder Frau) eine konträre Haltung einnehmen und aktiv Gegenargumente sammeln und vorbringen muss, wenn seine neun Vorgänger alle die gleiche Meinung vertreten haben.

Solltest du ein Bücherwurm oder Cineast sein, dann wirst du sagen Moment mal, das kenne ich doch irgendwo her? Und genau da kommt der Autor Max Brooks mit seinem Buch Worlds War Z ins Spiel. In dem Buch bzw. dessen Verfilmung wurde genau dieses Regelwerk angewendet und die bevorstehende Zombieapokalypse durch den zehnten Mann nachgewiesen. Aber ist die Regel des zehnten Mannes nun aus der Feder eines Buchautors entstanden?


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Wie ist die Regel des zehnten Mannes entstanden?

Die Regel des zehnten Mannes ist nicht der Feder Max Brooks' entsprungen. Stattdessen kommt hier nun Israel ins Spiel. Ein eigentlich friedfertiges Volk und kleines Land, das ringsherum ausschließlich von Feinden umgeben ist und am 6. Oktober 1973 zum vierten Mal nach Staatsgründung einem nicht für möglich erachtetem Krieg ausgesetzt worden war.

Damals griffen Ägypten und Syrien unterstützt vom Irak, Lybien, Jordanien, dem Sudan, Algerien, Marokko, der Sowjetunion und Cuba überraschend Israel auf den Golanhöhen und der Sinai-Halbinsel an. Israelische Experten hielten diesen Angriff damals einstimmig für sehr unwahrscheinlich und das obwohl man deutliche Truppenbewegungen wahrgenommen hatte. Man hielt diese aber nur für Muskelspielchen.

Der als Jom-Kippur-Krieg in die Geschichtsbücher eingegangene Konflikt dauerte 19 Tage und endete mit einem von der UN ausgehandelten Waffenstillstand und das obwohl Syrien praktisch geschlagen war und die 3. Armee der ägyptischen Streitkräfte kurz vor der Vernichtung stand.

In jedem Falle hinterließ dieser Überraschungsangriff ein traumatisiertes Israel, dass im Nachwege die Agranat Kommission einberief und damit beauftragte, dass erlittene Fiasko zu analysieren.

Diese Kommission empfahl nun unter anderem, eine Abteilung zu schaffen, deren einzige Aufgabe es war, in allen nationalen Lagebeurteilungs- und Entscheidungsgremien einen Vertreter abzustellen, der grundsätzlich die gegenseitige Position einnimmt und versucht mit starken Argumenten durchzusetzen. Die Regel des 10. Mannes wahr offiziell geboren.


Wie funktioniert die Regel des zehnten Mannes?

Durch Nutzung des genannten Prinzips soll nun kein Dauernörgler oder dauerhafter Widerstand etabliert werden! Das Ziel des Prinzips ist eher die Bildung einer loyalen Opposition, die an der breit aufgestellten, einhelligen Meinung Skepsis walten lässt. Dies ist extrem wichtig, weil darüber quasi mehr Szenarien zur Diskussion kommen, noch nicht in Erwägung gezogene Betrachtungswinkel in die Lagebeurteilung oder Entscheidungsfindung einfließen und somit wiederum die, Achtung Buzz-Word, Unknown Unknowns in ihrer Häufigkeit des Auftretens verringert werden.

Zur Funktionsweise kommt auch noch förderlich hinzu, dass die Rolle des 10. Mannes ein Mitglied der Clique übernehmen muss. Jetzt magst du dich fragen, warum das eine Rolle spielen sollte?

Die Clique ist sehr geübt darin, die von Außen an sie herangetragene Kritik wegzuwischen. Man hört sie in harmonischer Einigkeit schlicht weg nicht oder nimmt die Kritik nicht an. Anders ist es aber, wenn Ideen, Gedankengänge, Zweifel, Ängste aus der Clique und damit aus dem inneren Kreis der Gruppe heraus geäußert werden. Das nimmt man ernst!


Beispiele für die Nutzung der Regel des zehnten Mannes

Jetzt sind die Isreal Defence Forces (IDF) aber auch nicht wirklich der Erfinder dieses Prinzip, sondern nur Namensgeber. Was sind denn Beispiele der Nutzung des Prinzips des zehnten Mannes in der Vergangenheit oder auch aktuell?

Das älteste, mir bekannte, bestehende Beispiel für die Regel des zehnten Mannes stellt die Römisch-Katholische Kirche dar, bei der im Zuge der Heiligsprechung einer Person in der Kongregation genannten Versammlung ein Vertreter die positiven Argumente für die Heiligsprechung (advocatus angeli) und ein anderer Vertreter die Gegenargumente (advocatus diaboli) dem Papst vorträgt, bevor dieser eine Entscheidung über die Heiligsprechung trifft.

Auch deutsche Zivilgerichte verfahren nach diesem Prinzip und deshalb stehen sich dort zwei Anwälte als Vertreter des Klägers und des Angeklagten gegenüber.

Auch in einer professionellen Softwareentwicklung erfolgt im Prinzip die Anwendung des zehnten Mannes, indem den Entwicklern, die von der Grundeinstellung her Dinge aufbauen wollen, sogenannte QAler (Qualitätssicherer) entgegengestellt werden, deren Grundeinstellung eher ist, alles irgendwie kaputt zu bekommen.


Fazit

Die Anwendung des Prinzips des zehnten Mannes eröffnet einer Nutzergruppe eine umfassendere Übersicht und damit eine qualitativ verbesserte Informationsbasis, was wiederum zu ausgewogeneren, präziseren Entscheidungen führt.

Schon in der Führungslehre an der Offizierschule des Heeres hieß es immer Kümmert euch um die Kritiker. Bezieht sie aktiv mit ein, diskutiert, fragt, versteht... Warum wurde uns das gesagt? Weil es in der Gruppe der Gleichgesinnten so schön harmonisch ist und der Mensch ein Harmonie-Tier ist. Dadurch neigt er dazu, die Personen, die die Stimmung durch Einwände und konträre Meinungen stören, auszuschließen. Damals wurde uns das als Führungsprinzip verkauft. Heute, mit der Kenntnis der Regel des zehnten Mannes, sehe ich gewisse Parallelen.

Nun haben aber leider die meisten Führungskräfte überhaupt keine Ausbildung in Menschenführung und bringen auch nur selten, dass nötige Grundtalent mit. Solltest du für dich in einer kritischen Selbstbetrachtung da gewisse Übereinstimmungen finden, dann möchte ich dir ans Herz legen, Nörgler ernst zu nehmen, ihnen aktiv zuzuhören und produktive Diskussionen mit diesen zu führen, denn sie stellen einerseits sicherlich eine Herausforderung dar, sie sind andererseits aber auch eine große Chance für den eigenen Erfolg als Führungskraft!


Hast du auch Erfahrung mit einem cliquenhaften Umfeld oder sogar in der Anwendung der Regel des zehnten Mannes? Wie immer würde ich mich über Beiträge von dir und dein Feedback zu diesem Post sehr freuen.


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