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Samstag, 29. Februar 2020
Serie Kino S2 • E6
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Lesedauer: 4 Minuten

Heute möchte ich euch mal wieder von einem echten Kino-Besuch und damit auch aktuellem Kinostoff berichten. Anlässlich meines Geburtstages wurde ich von Biene in mein Lieblingskino in Lüneburg eingeladen und nach vorheriger Absprache entschieden wir uns nach unseren zuletzt eher nicht so berauschenden Erfahrungen mit französischen Filmen dennoch für ein mehrfach prämiertes Werk aus unserem südwestlichen Nachbarland.

Bei Ankunft im Scala waren wir über den doch recht gut gefüllten Kinosaal überrascht. Sollte das ein gutes Zeichen sein?

Schauen wir mal... Biene und ich hatten uns für den Film Die Wütenden – Les misérables entschieden. Dabei handelt es sich um eine mehrfach prämierte und leicht autobiografisch anmutende Milieustudie des Regisseurs Ladj Ly.

In dem Film geht es um eine Sondereinheit der Pariser Polizei, deren Einsatzgebiet der Problemstadtteil Montfermeil ist, in dem es ja bekanntlich 2005 zu extrem gewalttätigen Auseinandersetzungen mit französischen Sicherheitskräften kam, die letztlich sogar weite Teile Frankreichs ergriffen.

Ein Team dieser Sondereinheit bekommt ein neues Mitglied, das frisch aus der Ausbildung kommt. Schnell erkennt dieser, was in diesem Stadtteil wirklich abläuft und wie Dinge dort auch durch die Sicherheitskräfte geregelt werden und das eben auch immer mal wieder jenseits des gesetzlich gegebenen Spielraumes.

Zusätzlich erfährt er schon am ersten Tag, welche interkulturellen Spannungen und Interessenkonflikte in diesem eigentlich ausschließlich von Migranten bewohnten Stadtteil herrschen. Eine ganz üble Mischung mit vielen Verstrickungen.

Dennoch versucht der Neuling der in der Ausbildung vermittelten Linie der Deeskalation treu zu bleiben. Da kommt dann auch schon mal der Hinweis seiner Kollegen Ein Polizist entschuldigt sich nicht! Doch wie sieht diese gesellschaftliche Mischung nun aus?

Da sind einerseits der „Bürgermeister“, ein großgewachsener, stämmiger Schwarzafrikaner, der voller Stolz sein französisches Nationaltrikot mit dem Namen Le Maire (Bürgermeister) trägt und von den älteren Mitgliedern des Einsatzteams scherzhaft als unser Obama bezeichnet wird. Er erscheint wie eine Art Pate und zieht mit seinen Gefolgsleuten im Stadtteil die Strippen für die schwarzafrikanische Gemeinschaft.

Dann ist da die Muslimbrüderschaft, die massiv versucht, die desillusionierten Kinder zu anständigem, gewaltfreiem Verhalten zu bekehren und so eine Grundlage für ihre positive gesellschaftliche Entwicklung zu setzen. Ob das die einzigen Ziele bzw. Interessen ihres Handelns sind, wird in dem Film geschickt außer Acht gelassen.

Dann sind da Drogendealer, die ebenfalls ihr Interessen vertreten und Ruhe im Stadtteil ist dabei durchaus eines. Denn wo Ruhe herrscht, läuft auch das Drogengeschäft sehr viel entspannter...

Und zu guter Letzt ist da noch die Masse an Kindern, deren Zukunft schon in jüngstem Alter klar zu sein scheint und dabei als völlig aussichtslos erscheint.

Aber dieses Pulverfass scheint in einem Gleichgewicht zu sein, vermutlich weil alle das Gewaltpotenzial der anderen fürchten. Man mag sich nicht, lässt den anderen aber genug Spielraum, um jegliche Eskalation und daraus womöglich resultierenden Machtverlust zu vermeiden.

Und in dieses Pulverfass stößt jetzt noch eine einen Zirkus betreibende und mit aller Gewalt(bereitschaft) auftretende Zigeunertruppe wutentbrannt hinzu, denn dem Zirkuschef ist ein kleines Löwenbaby gestohlen worden!

Es kommt zu einem kurz vor dem Explodieren stehenden Zusammentreffen zwischen dieser Zirkustruppe und den Leuten des Bürgermeisters, das das Sondereinsatzteam mit Mühe und Not gerade noch schlichten kann. Aber es bleibt eine Deadline! Sollte das Löwenbaby aber nicht bis zum nächsten Morgen wieder da sein, dann...

Plätscherte der Film bis dato noch so ein wenig vor sich hin, nimmt er nun merklich an Fahrt auf und eine durchaus sehenswerte, schnelle Story voller Verstrickungen, Macht und Gewalt entwickelt sich. Hier nun mehr zu berichten, würde den Kinobesuch für euch unnötig machen! Daher stoppe ich an dieser Stelle und gehe zur Bewertung über.

Der Film an sich kommt zunächst etwas flach daher! Es ist eine ganz normale Story von Polizei und Milieu in Frankreich. Erst der ganz am Ende eingeblendete Satz Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner. gibt dem Betrachter zumindest aus meiner Sicht den notwendigen Kick und macht den Film zu einem wirklich sehr aussagekräftigem Werk!

Letztlich führte dieser Satz dazu, dass zumindest Biene und mir nachhaltig die Sprache verschlagen war und wir kopfschüttelnd und stark nachdenklich das Kino verließen! Es brauchte fast den gesamten 10 minütigen Weg zum Auto, bevor wir anfingen, darüber zu reden...

Der Film trägt ja primär den Namen Die Wütenden. Aber durch einen Bindestrich getrennt ist da noch Les misérables und durch diesen allen bekannten Buch-, Musical- und Bildtitel kommt eine Aussage in den Film, die in Verbindung mit diesem am Ende eingeblendeten Zitat aus Les misérables die eigentliche soziale Brennkraft in der französischen Gesellschaft aufzeigt. Denn bis heute sind die bereits 1862 von Victor Hugo in seinem Erfolgsroman Les misérables aufgezeigten gesellschaftlichen Probleme in Frankreich alles andere als gelöst.

Der Titel passt nachträglich aus vielerlei Gründen sehr gut. Offensichtlich ist dabei, dass Victor Hugos Roman quasi am Spielort entstanden ist. Das weniger Offensichtliche möchte ich hier offen lassen. Nach dem Film werdet ihr hoffentlich verstanden haben, worauf ich hinaus will.

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Besonderen Einfluss auf die erzählerische Qualität dieses Filmes hatte wahrscheinlich auch die Tatsache, dass der Regisseur Ladj Ly, dessen Eltern aus Mali nach Frankreich kamen, in dem Pariser Stadtteil Montfermeil groß geworden ist und damit die Verstrickungen aus Elend, Aussichtslosigkeit und Gewalt nur zu gut aus eigener Erfahrung kennt.

Vielleicht ist es diese Erfahrung, die den erst so vor sich hin plätschernden Film letztlich so fesselnd und explosiv macht?!

Wenn ihr also wissen wollt, welche Auswirkungen eine von einem der wenigen guten und gebildeten Kindern gesteuerte Drohne haben kann, spätestens dann solltet ihr die Chance nutzen und euch diesen erstklassigen Film noch in einem Programmkino eurer Wahl anschauen! Der Twitter-Generation und all denjenigen, die auf Filme des Niveaus Transformers, Marvel,... stehen, sei gesagt Erspart euch den Film!


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