Denn sie tun nicht, was sie wissen

Donnerstag, 04. März 2021
Serie Covid-19 S3 • E1
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Lesedauer: 8 Minuten

Nachdem die Bund-Länder-Runde bzw. Ministerpräsidenten-Konferenz sich gestern Abend ja nicht mehr rechtzeitig auf ein Ergebnis einigen konnte, war ich nun heute Morgen nach dem Aufstehen um so mehr gespannt darüber, was denn die Kanzlerin mit den 16 Ministerpräsidenten bezüglich des aktuellen Lockdowns und möglicher Öffnungen für uns beschlossen hat.

Seit Monaten stecken wir nun schon in einem Lockdown. Ein Lockdown der uns alles abverlangt und unsere sozialen Kontakte auf ein absolutes Minimum reduziert. Ein Lockdown der dazu führt, dass viele an ihre psychischen Grenzen kommen und sich kaum noch ein Bürger an die vorgegebenen Regeln halten mag. Der Ruf nach Lockerung wurde zumindest im Kreise der Oppositionsparteien und in den Medien immer lauter. Und diesem Druck hat die Politik nun gestern nachgegeben. Es wurden Lockerung beschlossen, die von Inzidenzwerten und vom Datum abhängig sind. Lass uns doch mal gemeinsam schauen, was beschlossen wurde und was sowohl die aktuellen Zahlen als auch medizinische Erkenntnisse dazu sagen.

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Welche Lockdown-Lockerungen wurden beschlossen?

Ich möchte hier die detaillierten Lockdown-Lockerungen gar nicht abermals aufführen. Was mir allerdings bei den Schritten dieser nun beschlossenen Exit-Strategie auffällt, ist die erneute Veränderung der herangezogenen Inzidenzwerte sowie die ab Öffnungsschritt 4 vorliegende starke Abhängigkeit von tagesaktuellen Schnell- oder Selbsttests.

Fakt ist auch, dass ab dem 8. März ohne irgendeine Abhängigkeit von Inzidenzwerten in einigen wenigen Bereichen geöffnet wird, während im gleichen Zeitraum in anderen Bereichen des Einzelhandels Inzidenzwerte heran gezogen werden.

Ganz schlimm erwischt hat es die Gastronomie-, Kultur- und Veranstaltungsbranche sowie die Hotellerie, die wieder einmal nur vertröstet wurden und nun mit zunehmendem Frust hoffen, dass in der Bund-Länder-Runde am 22. März auch in ihrem Bereich klare Regeln für Öffnungen formuliert werden.

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Wie ist die aktuelle Covid-19-Lage?

Die aktuelle Covid-19-Lage wird von medizinischem Fachpersonal als zur Zeit zwar ruhig aber mit hohem Explosionspotenzial angesehen. Deshalb hört man aus medizinischen Kreisen auch eher den Aufruf zu vorsichtigen Öffnung.

Grund dafür ist der zur Zeit stark ansteigende Anteil an Infektion mit der britischen Mutante B.1.1.7, die aktuell schon bei geschätzt 50 Prozent liegt und – wenn sie erst einmal grassiert – zu schnell steigenden Infektionszahlen führen kann, wie man es beispielsweise in Flensburg erlebt hat.

Generell ist aktuell ein zum Glück nur als moderat zu bezeichnender Anstieg der Infektionszahlen zu beobachten. Besser sieht es bei den Todeszahlen aus. Diese stagnieren zur Zeit glücklicher Weise.

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Wie sinnvoll und wodurch getrieben sind diese Beschlüsse?

Zur Beantwortung dieser Frage kann ich natürlich nur meine Meinung sowie meine Vermutungen äußern. Ob und inwiefern diese Öffnungen sinnvoll sind, wird die Entwicklung der Fallzahlen in den nächsten Wochen zeigen.

Ich jedenfalls bin der festen Überzeugung, dass unsere Kanzlerin Angela Merkel gerne länger an härteren Maßnahmen festgehalten hätte. Sie stellt sich nicht zur Wiederwahl und ist damit auch weniger von eigenen Zielen beeinflusst. In dieser Situation aus meiner Sicht für uns alle ein absoluter Vorteil.

Wenngleich ich nicht in ihrer Haut stecken möchte und absoluten Respekt vor ihren Entscheidungen habe, so denke ich doch, dass die nun beschlossenen Öffnungen maßgeblich auf den Einzelinteressen der Ministerpräsidenten und dem auf ihnen liegenden Druck basieren.

Und so öffnen wir nun weiter, obwohl die Auswirkungen von Schul- und Kita-Öffnungen aktuell noch nicht ansatzweise nachvollziehbar sind. Wir öffnen weiter, obwohl die Fallzahlen gerade auch wegen der britischen Mutante wieder steigen. Erscheint euch das logisch?

Dann ist die beschlossene Exit-Strategie massiv auf Schnell- und Selbsttests ausgelegt. Das aber ohne das wir aktuell schon Schnell- oder Selbsttests in ausreichender Zahl durchführen können. Und sind wir doch mal ehrlich... Glaubt ihr ernsthaft, dass diese ab 22. März in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen werden?

Dann eröffnet sich mir der Unterschied zwischen einem Buchladen und einem Spielzeugladen nicht. Der Buchladen darf unabhängig von Inzidenzwerten ab Montag wieder öffnen während ein Spielzeugladen dies nur bei einer Inzidenz von weniger als 50 darf und das bei Einhaltung der gleichen Hygienevorgaben. Die gleiche Fragestellung ergibt sich für mich beispielsweise auch bezüglich Gartenmärkten und botanischen Gärten...

Last but not least stellt sich mir die Frage, was sich in der Zwischenzeit zum Positiven verändert hat, so dass das Zusammenkommen vieler Menschen in Räumen wie beispielsweise Kinos, Theatern oder Konzerthäusern ab 22. März bei einer Inzidenz von weniger als 50 plötzlich weniger gefährlich macht, als es das heute ist?

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Welche Gefahren bestehen durch die Lockerungen?

Für mich besteht die größte Gefahr in der mangelnden Akzeptanz in der Gesellschaft und vor allem dem aktuell mangelhaften aber absolut notwendigen, disziplinierten Mitwirken aller Bürger unseres Landes.

Mit dieser Exit-Strategie ist viel Selbstverantwortung der Bürger gefragt, denn der Staat kann und sollte auch nicht alles kontrollieren. Ich erlebe meiner Wahrnehmung nach fast täglich mangelnde Disziplin, was das Durchhalten der vorgegebenen Regeln angeht.

Und nun öffnen wir weiter und vermitteln dadurch vielleicht sogar noch ein unbegründetes Sicherheitsgefühl?! Ich empfinde das als sehr riskant...

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Was mag durch die Lockerungen in den kommenden Wochen auf uns zukommen?

Nach allem was ich gelesen habe, kann man in den nächsten Wochen wohl davon ausgehen, dass die britische Mutante schon bald die ursprüngliche SARS-CoV-2-Variante verdrängt haben wird und wir daher bei Undiszipliniertheit in Verbindung mit den Öffnungen auch mit einer deutlich explosiveren Entwicklung der Fallzahlen rechnen müssen.

Nicht gänzlich auszuschließen ist ebenfalls, dass auch die brasilianische Mutante ihren Weg zu uns finden wird und damit vermeintlich auch bereits geheilte Covid-19-Patienten wieder einer erhöhten Gefahr der Erkrankung ausgesetzt sind.

Aus meiner Sicht sind die Schnell- und Selbsttests eine deutliche Verbesserung in dieser zunehmend unerträglichen Situation des Lockdowns. Ich denke, dass wenn denn verantwortungsbewusst bis in die negativsten Konsequenzen hinein – wie beispielsweise einer selbst initiierten Quarantäne – die gegebenen Grundregeln diszipliniert durchgezogen werden, dass uns die Schnell- und Selbsttests eine deutliche Verbesserung der empfundenen Lockdown-Situation erlauben werden.

Zu hoffen bleibt auch, dass sich die Impfungen wirklich positiv auf die Anzahl schwerer Verläufe und damit auf die Todeszahlen auswirken, denn dann haben wir – abgesehen von auftretenden, aggressiveren Mutationen – vermutlich eine hoffnungsvolle Situation erreicht, auf der sich weiter aufbauen lässt.

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Wie fällt mein Fazit zu den Lockerungen aus?

Ich persönlich freue mich darauf, bald vielleicht wieder in Kinos oder auf Konzerte gehen zu können. Dennoch hinterlässt diese Exit-Strategie bei mir den Eindruck von Öffnungen um des öffnen Willens. Felix Klemme hat das Verhalten in anderem Zusammenhang so schön mit Denn sie tun nicht, was sie wissen tituliert.

Für mich sind die Öffnungen aktuell aus gesundheitspolitischer Sicht kaum verständlich, geschweige denn nachvollziehbar. Aber es geht ja nicht nur um den gesundheitspolitischen Aspekt, sondern maßgebliche auch um wirtschaftliche und soziale Aspekte.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist glaub ich absehbar, dass wir viele Insolvenzen erleben werden. Viele Existenzen werden daniederliegen. Aber auch diejenigen, die bisher wirtschaftlich vielleicht gut oder sogar mit Gewinnen durch diese Krise gekommen sind, werden in Zukunft durch Inflation und steigende Steuerabgaben ihre Konsequenzen aus der Corona-Krise erleben. Irgendwie müssen die Staatsschulden ja im Zaum gehalten werden...

Am meisten gespannt bin ich aber auf die sozialen Auswirkungen. Wir leben meiner Wahrnehmung nach schon in einer Ellbogengesellschaft, wo jeder nur noch an seinen eigenen Vorteil denkt. Etwas, das mich zunehmend anwidert! Ich würde mir wünschen, dass wir mal wieder einen Politiker wie John F. Kennedy hätten, der – wenn auch unpopulär – meinen Mitbürgern klarmacht, dass sie nicht danach fragen sollten, was der Staat für sie tun kann, sondern was sie für den Staat tun können!

Sehr traurig und nachdenklich hat mich gestern eine mit Kreide auf eine Straße in meiner Nachbarschaft geschriebene Botschaft eines Grundschülers gemacht. Dort stand zunächst Corona soll endlich weg sein. Und dann kam ein paar Meter weiter der Hammer. Ich will nicht mehr leben. Was macht diese Krise mit unseren Kindern? Wie können wir unsere Kinder in einer für sie so prägenden Phase ihres Lebens, die eigentlich von Freude, Spaß und Sorglosigkeit geprägt sein sollte, unterstützen, um Spätfolgen möglichst zu verhindern?

Und auch wenn mich das sehr nachdenklich zurücklässt, so freue ich mich über die kommenden Öffnungen sehr und doch bleibt da eine gewisse Skepsis in mir. Diese ist maßgeblich in der mangelnden Disziplin in unserer Gesellschaft begründet. Aber so wie man Feuer erfolgreich mit Feuer bekämpfen kann, so erreicht man mittels dieser Öffnungen vielleicht auch früher eine Durchseuchung und damit eine Herdenimmunität?! Wir werden es sehen und ich wäre in diesem Falle nur zu gerne der Skeptiker in der retrospektiven Betrachtung!!


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