Das mit dem Abschied

Donnerstag, 25. Februar 2021
Serie Dänemark S2 • E2
Google Maps Henne Strand
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Lesedauer: 7 Minuten

Manchmal gibt es Lebensumstände, die einen Abschied erfordern und damit dann meistens auch schon zwangsläufig nach sich ziehen. Die in diesem Fall bestehenden Lebensumstände sind ganz klar mit dem Wort des Jahres 2020 zu begründen. Corona-Pandemie.

Nun betreffen mich diese Lebensumstände, wie euch ja auch, natürlich auf einer täglichen Basis. Das zum Glück aber bisher eben nicht in der Härte, dass bei meiner Person Abschied in irgendeiner Form letztlich wirklich Thema geworden ist.

Anders ist das aber für meinen dänischen Freund Nils. Er musste aus wirtschaftlichen Gründen sein Ferienhaus in Henne Strand aufgeben und das hat schon was zu bedeuten, denn in Dänemark gehören selbst hohe Schulden zur guten Sitte und sind damit völlig normal.

Was aber tun, wenn die Schulden statt monatlich abgetragen zu werden, Corona-bedingt weiter steigen und man selbst auch derartige Einnahmeverluste hat, dass man diese auch nicht für eine gewisse Zeit überbrücken kann?

Nun, einige von euch werden jetzt aus deutscher Sicht sagen oder zumindest denken Na dann war das Investment ja auch mit heißer Nadel gestrickt. Ganz Unrecht habt ihr damit ja selbst mit einer aufgesetzten dänischen Brille nicht. Aber das hilft ja keinem und Nils erst recht nicht!

Nils hat sein Ferienhaus zwischenzeitlich verkauft und war nun genau an dem Wochenende Anfang November letzten Jahres, an dem ich nun zuletzt kurzfristig und buchstäblich in letzter Minute nach Dänemark eingereist war, noch mal vor Ort, um im Haus und am Grundstück letzte Arbeiten für die Übergabe an den neuen Besitzer zu tätigen.

Als ich ihn am Tag vor meiner Anreise anpingte und fragte, ob er in den nächsten 6 Tagen zufälliger Weise auch in Henne Strand sei, schrieb er mir die Geschehnisse und Entscheidungen seiner letzten Wochen, meinte aber gleichzeitig, ob ich nicht am Haus noch das letzte Mal mitfeiern wollen?!

Ich fand die Idee cool und nahm eine Flasche Rum aus Deutschland mit, damit Nils und ich noch Mal zusammen Cuba Libre trinken könnten.

Nils sollte diese Frage aber nicht nur mir stellen und damit zeigte mir Nils, wie aktiv andere Kulturen mit Trauer, Abschied und damit mit der Akzeptanz des Unveränderbaren umgehen! Eine interessante Erfahrung, die ich, wenn auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens, auch in Việt Nam schon mehrfach machen durfte.

Man kann solche einen Verlust ja grundsätzlich mindestens Mal auf zwei Arten und Weisen angehen. Ich würde wahrscheinlich immer vor Augen haben, was ich zukünftig nicht mehr hätte. Nach Aussage von Nils und anderer Dänen, scheinen die Dänen solche Situationen mehrheitlich anders zu tacklen. Aber wie ist er diese Situation, seinen Abschied nun angegangen?

Ich hatte es schon angedeutet, dass er nicht nur mich gefragt hatte, ob ich dann nicht noch ein letztes Mal mit ihm und seiner Familie am Ferienhaus feiern wolle...

Als ich am Ankunftstag meines Aufenthalts in Henne Strand gegen 20:15 Uhr bei ihm ankam, war ich wirklich mega überrascht. Da brannte nicht nur ein recht großes Lagerfeuer mitten auf seinem Grundstück, sondern auch Jette und Lars waren da! Die Zwei hatte ich zusammen mit Nils im Mai 2018 zufällig am Stammtisch des Ishuset kennengelernt.

Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich ja noch mindestens eine zweite Flasche Rum mehr mitgebracht. War aber gar nicht nötig, denn alle Gäste hatten irgendwie noch was an Alkohol mitgebracht und das so schön durcheinander. Dazu aber später noch mehr...

Nachdem auch andere dänische Nachbarn von Nils noch hinzugestoßen waren und alle mit einem Getränke versehen waren, standen wir – den Corona-Hygiene-Regeln folgend – in großem Abstand zueinander um das Lagerfeuer und Nils ergriff das Wort. Leider auf Dänisch, wodurch ich nicht wirklich irgendwas außer dem abschließenden Skål verstand. War aber ja auch irgendwie das wichtigste Wort, zumindest dachte ich das...

Nachdem dann gegen 22:30 Uhr mit Jette, Lars, Nils und mir irgendwie so was wie der harte Kern übergeblieben war, hatten wir meine Flasche Rum längst leer und es ging daran, die mitgebrachten Reste der anderen Gäste zu verbrauchen.

Und da ich Gammle Dansk oder einen Aquavit nicht wirklich gut alleine runterbekomme, griff ich mal wieder in die Trickkiste eines Cocktailmeisters und zauberte aus dem was da war und dem was wir abermals nachträglich aus dem SuperBrugsen organisierten ein paar leckere Cocktails.

So genossen wir beispielsweise diverse Danish Mule, also Aquavit mit Ginger Ale bis die unangerührte Flasche Aquavit leer war. Anschließend galt es dann noch eine etwa zu einem drittel befüllte Flasche Gammel Dansk zu leeren. Ein Cocktail mit Gammle Danks?! Der Gedanke daran drehte mir eigentlich schon den Magen um...

Aber ich befragte abermals das Internet und siehe da, es gab in Schweden mal einen Cocktail-Wettbewerb, in dem in einer Finalrunde die Nutzung von Gammle Dansk die einzige Bedingung war. Wir checkten die Flaschenlage und fand noch eine Flasche Kräuterlikör. Bingo!

So improvisierte ich noch ein paar Cocktails mit Gammle Dansk, Kräuterlikör, Zitronenbrause und Zimtpulver, die dem Danish Witchcraft zwar von den Zutaten her nicht so 100% nahe kamen, aber sich geschmacklich trotzdem sehr gut trinken ließen.

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Mir war in den zumindest in meinem Beisein in Englisch geführten Gesprächen aufgefallen, dass immer irgendwie über tolle Erlebnisse rund um das nun verkaufte Ferienhaus geredet wurde. Es wurde, so in der Vergangenheit schwelgend, extrem viel gelacht. Keine Spur von Trauer! Kein (deutscher) Außenstehender würde je denken können, dass dies eine Abschiedsparty war.

Als wir so in unserer guten alten Runde zu später Stunde am kleiner werdenden Lagerfeuer zusammenstanden, kam das Gespräch schnell auch auf den Abend, an dem wir uns rein zufällig kennengelernt hatten.

Sie erzählten erstmals, wie sie mich alleine mit meinem frischen Fadøl vor dem Ishuset unter einem Schirm am Tisch haben sitzen sehen und sie sich eigentlich ein wenig über den einsamen deutschen Touristen lustig machten. Die Kinder sind im Bett, die Frau will noch lesen, er hat endlich seine Ruhe und kann sein Bierchen trinken. Signe, die Besitzerin sagte aber Nee, der ist Däne. und dann kam Jette – natürlich völlig ohne eigennützige Hintergedanken – die Idee, mich mit an den Stammtisch rüberzuholen.

Wir sprachen darüber, wie wir – also die dänische Ferienhausbesitzer-Stammtisch-Runde und der doch als einsamer deutscher Tourist zu bezeichnende Typ – dann noch bis nach drei Uhr in der Früh für Umsatz am Ishuset sorgten.

Wir sprachen auch darüber, wie wir uns dann zur Überraschung aller, nur eineinhalb Wochen nach meiner Abreise, in Henne Strand alle wiedertrafen. Wie wir bis zum Sonnenaufgang am Lagerfeuer mit Ibiza-House-Mucke und Cuba Libre in den Dünen feierten und dazu noch mitten in der Nacht über Beziehungen im SuperBrugsen einkauften.

So viele schöne Erinnerungen, die zumindest für Nils alle auch mit seinem Ferienhaus in Verbindung stehen. Von dort hatte er für das Lagerfeuer am Strand noch einen Sack Brennholz geholt... Aber es sind schöne Erinnerungen. Wieder lachten wir extrem viel. Keiner war traurig, nicht mal Nils!

Auf Rückfrage meinerseits, ob er denn jetzt darüber traurig sei, dass er dieses wirklich tolle Ferienhaus in Henne Strand abgeben würde, antwortete er nur wie ganz natürlich Nein, wieso?

Das war für mich mal wieder so ein kultureller Aha-Moment. Er meinte, dass er so viele tolle Erinnerungen an seine vier Jahre als Eigentümer dieses Hauses habe, dass er gar nicht traurig sein könne. So richtig konnte ich ihm das gerade angesichts der vielen tollen Erlebnisse nicht abnehmen. Aber als auch die anderen Drei ihm beipflichteten, begannen wir ein Grundlagengespräch.

So sagte Jette beispielsweise Ja, man kann jetzt in Traurigkeit ertrinken. Aber das Leben geht doch weiter, nur anders und das eben lediglich ohne diese Unterkunft. Der Urlaubsort bleibt, wir bleiben, die Erinnerungen bleiben,... Lars ergänzte ihr ins Wort fallend dann noch Und die Traurigkeit würde doch all das Positive, die Erlebnisse und die Fröhlichkeit ersticken. Das wäre doch schade, schließlich ist es doch nur eine Unterkunft und von denen gibt es hier in Henne Strand jede Menge.

Wow! Das ist mal eine grundsätzlich andere, anscheinend kulturell bedingte Sichtweise. Meinem Eindruck nach war bei Nils überhaupt kein Change-Management notwendig. Etwas, das ich definitiv bei unserem nächsten Treffen noch mal als Thema ins Gespräch bringen werde.

Und um das noch zu untermalen, verabschiedeten sich Jette und Lars von Nils mit den Worten, die ich als Abschluss dieses Posts auch nutzen möchte. Vi ses!


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