Batman's Robin
Freitag, 20. November 2020
The last dance S1 • E2
Chicago
Lesedauer: 4 Minuten
Nachdem ich mir im letzten Post der The last dance-Serie die Frage vorgenommen hatte, wieso es bei den Chicago Bulls 1998 nicht zum neunten Versuch des Titelgewinns gekommen ist, möchte ich mich heute in diesem Post meines basketballerischen Jugendidols annehmen.🚨 🚫 Bevor du dies hier liest, möchte ich deutlich darauf hinweisen, dass ich hier über Inhalte der Dokumentation The last dance schreibe. Es besteht also Spoiler-Alarm!
Wer mich gut kennt weiß, dass ich jetzt nicht über Michael Jordan schreiben werden! Ich war anscheinend schon immer weniger interessiert an den formellen Leadern. Mich interessieren die informellen Leader, denn die halten den Laden zusammen und bewegen etwas, oder?
Diese Rolle hat bei den Chicago Bulls der 90er Jahre wohl ohne Frage und in der Nachbetrachtung Scottie Pippen eingenommen! Scottie, der in dem 2600-Seelen-Dorf Hamburg in Arkansas groß geworden ist, war in den frühen Jahren seiner Basketball-Karriere nie die erste Wahl und kämpfte sich mit viel viel Arbeit in die NBA. Ihm wurde wahrlich nichts geschenkt!
Eigentlich würde ich sagen, dass Scottie nie wirklich Glück hatte. Eine Ausnahme gibt es dann aber wohl doch, denn als er 1987 an Position fünf im NBA-Draft durch die Seattle Supersonics gedraftet wurde, da gab es hinter den Kulissen zwischen den Sonics und den Bulls bereits den Deal ihn gegen den dann an Position acht gedrafteten Olden Polynice zu tauschen.
Unvergessen sein Gesichtsausdruck, als er in seinem ersten NBA-Interview von einem Reporter darauf angesprochen wurde, dass er mit dem Sonic-Cap gerade die falsche Mütze tragen würde. Er sei doch von den Sonics an die Bulls weitergegeben bzw. getradet worden.
In der Nachbetrachtung war das wohl doch wirklich das einzige Mal, in dem dieser so grund ehrliche, offene, bescheidene und symptathische Typ Glück hatte. Aber er ist auch der lebende Beweis dafür, dass von nichts auch nichts kommt...
Charles Oakley, der sich Scotties in dessen Rookie-Saison mit harter Hand angenommen hatte, behauptet sogar, Scottie sei in den ersten Wochen im NBA-Training sogar besser gewesen, als Michael Jordan in der vergleichbaren Zeit seiner Karriere gewesen sei.
Und das er zu Recht an Nummer fünf gedrafted worden war, stellte er schnell unter Beweis. Mit ihm und dem im selben Jahr an Nummer zehn gedrafteten Horace Grant ging es nun sportlich nämlich relativ schnell bergauf für die Chicago Bulls.
Aber diesem sportlichen Erfolg stellten sich einige Jahre die Detroit Pistons, die sogenannten Bad Boys, in den Weg. 1990 hätte das Team die Pistons eigentlich schon schlagen können. Aber wie ich schon schrieb, Scottie hatte wenig Glück in seiner Karriere. Im entscheidenden Spiel sieben hatte er einen Migräne-Anfall. Er versuchte aber zu spielen. Erst als er in einer Auszeit seinen Betreuern sagte, dass er kaum noch etwas sähe, wurde er vom Feld genommen und die Bulls verloren ohne ihn!
Ein Jahr später aber sollte es klappen und Scottie war der entscheidende Faktor. Die Bad Boys spielten brutal! Und ich meine wirklich brutal!! Wer in die Zone eindrang wurde niedergestreckt und das ist wörtlich zu nehmen. Als Dennis Rodman – damals noch bei den Pistons – ihn dann aber nach dem Ende eines Spielzugs noch ins Publikum stieß, Scottie hart einschlug und zunächst liegenblieb, dann aber ohne sich zu beschweren aufstand und einfach weiterspielte, da war den Pistons nach eigener Aussage klar, diese Bulls schlagen wir mit unseren Mitteln nicht mehr. Die Bulls waren gereift. Kein Rumheulen mehr, kein Fordern von angemessener Bestrafung!
Der Titel wurde 1991 dann im Anschluss an die legendäre Serie mit den Pistons im Gespann mit B.J. Armstrong, John Paxon und Bill Cartwright erstmals gewonnen und es sollten in den zwei folgenden Jahren sogar noch weitere Titel zum 3-Peat folgen. Dann hing Michael Jordan aber überraschend seine Basketballstiefel an den Haken und Scottie blieb mit dem eingespielten Team und dem Neuzugang Toni Kukoč alleine zurück. Einzige MJ, ohne den Niemand den Bulls irgendwas zutraute, fehlte.
Aber genau das gab Scottie die Möglichkeit aus seinem übermächtig erscheinenden Schatten hervorzutreten und sich zu präsentieren. Und das tat er nachdrücklich. Die Bulls erreichten erneut mit ihrer unnachahmlichen Triangle Offense die Playoffs und trafen dann in Runde zwei auf die New York Knicks.
Im dritten Spiel der Serie lagen die Bulls zwei Sekunden vor Spielende mit einem Punkt zurück und hatten Ballbesitz. Also noch alle Chancen auf den Sieg. Phil Jackson rief dann aber einen Spielzug für Toni Kukoč auf. Ein von Scottie aus meiner Sicht zu Recht als Affront empfundene Aktion. Der letzte Wurf sollte dem Nummer-Eins-Spieler zustehen. Nach einer kurzen Diskussion mit Phil Jackson und dem einen oder anderen Mitspieler weigerte sich Scottie dann, ging nicht aufs Feld und das Spiel endete damit, dass Toni Kukoč den entscheidenen Wurf tatsächlich versenkte und die Bulls gewannen.
In Wirklichkeit hatten die Bulls aber irgendwie verloren! Alle verschwanden frustriert in die Kabine. Keiner sagte einen Ton, bis der Senior im Team, Center Bill Cartwright, tränenüberströmt das Wort ergriff. Du hast das Team im Stich gelassen! Du hast jeden Einzelnen von uns im Stich gelassen!
Auch wenn Scottie Jahre später im Interview zur Dokumentar-Serie etwas angepisst und trotzig sagt, dass das mit Sicherheit kein Ruhmespunkt in seiner Karriere war, er es aber in der gleichen Situation wieder so tun würde, so entschuldigte er sich damals aufrichtig bei seinen Teamkollegen und er ließ seinen Worten Taten folgen. Unvergessen der wohl erniedrigendste Dunk der NBA-Geschichte in einem der nächsten Spiel gegen Patrick Ewing von den New York Knicks.
Im Jahr drauf verließ Leistungsträger Horace Grant das Team in Richtung Orlando Magic und MJ kam nach 18 Monaten wieder aus seiner Rente zurück. Die Spannungen zwischen dem Management und Scottie wuchsen und wuchsen gleichzeitig aber immer mehr. Er trug dieses Team in unglaublich uneigennütziger Art und Weise, da kann man doch auch vertraglich eine gewisse Anerkennung erfahren oder? Den General Manager Jerry Krause konnte er jedenfalls absolut nicht mehr Ernst nehmen und drückte ihm nicht nur vor der Presse sondern auch im Beisein des Teams einen üblen Spruch nach dem anderen rein. Aber warum?
Scottie war nachweislich der Leistungsträger der Bulls. Kaum ein Spieler war so ein Allrounder. Seine absolute Stärke waren aber die Abwehr und seine Charakter, mit dem er ein unglaublich eng beisammen stehendes Team kreierte. Ohne ihn ging das Team aber unter. Gleichzeitig war er nur an Nummer 126 in der NBA-Gehaltsliste. Unglaublich! Da kann man schon mal frustriert sein, gerade wenn das Management dann auch nicht nachlegt...
Und trotzdem gab er immer alles! Beispielhaft sei da nur das sogenannte Flue Game in den Finals 1997 genannt. Anschließend spitzte sich in der Off-Season die Lage dann aber zu. Er brauchte eine Fuß-OP, entschied sich aber aufgrund seiner Gehaltssituation zunächst die Sommerpause zu genießen und sich dann kurz vor Saisonbeginn operieren zu lassen.
Ein weiterer Moment, der dem ewigen Zweiten, dem vom Leben nie wirklich Belohnten immer und immer wieder negativ vorgehalten wird. Grundsätzlich war dieses Verhalten moralisch wohl eher fragwürdig. Es gab aber auch keine vertraglichen Regelungen, die dies unterbanden. MJ bewertet dies ähnlich. Scottie wurde eigennützig. Gleichzeitig unterstrich er aber auch, wie bescheiden das Management mit dem Mann umging, der so wesentlichen Anteil am Team-Erfolg hatte.
Dann das Spiel sechs der NBA Finals 1997, das letzte Spiel dieses legendären Teams, der bestmögliche Abschluss dieses letzten Tanzes. Erster Spielzug, Scottie wird unter dem Korb freigespielt, bekommt den Ball und dunkt. Anschließend greift er sich sofort mit einem schmerzverzerrten Gesicht direkt an den Lendenwirbelbereich. Der über die Jahre arg angegriffene Rücken schlug zurück.
Scottie schleppte sich über das Feld, ging immer wieder zur Behandlung in die Kabine. Ist er wirklich kein Team-Player? MJ gab in der Doku-Serie preis, dass er selbst in der Finalserie schon sehr stark erschöpft und am körperlichen Limit war. Er habe Scottie daher gebeten, auf die Zähne zu beißen. Ich brauche dich auf dem Feld! Sei einfach nur da und tue, was du tun kannst!
Und Scottie war da, so wie er bis auf diese zwei Sekunden im Spiel gegen die Knicks immer da war! Alle seine Team-Kollegen wissen das bis heute und schätzen das sehr an ihm. Am besten zum Ausdruck gebracht, hat das aber wohl His Airness himself.
Scottie Pippen erweist sich nun auch für alle sichtbar als Stütze und sei es nur für den sichtlich angeschlagenen Michael Jordan im sogenannten Flue Game.
So sagte er in seiner Hall of Fame-Aufnahme-Rede weinend und somit noch sichtlich vom Video über sein Lebenswerk beeindruckt I told all my friends I was just gonna come up here and say thank you and walk off. I can’t. There’s no way. I got too many people I gotta thank. In all the videos, you never just saw me; you saw Scottie Pippen. Every Championship I won!Jedes Erfolgsteam hat seinen Star. Aber der ist ohne seine bescheidenen, sich auf ihre Rolle statt auf das Ego konzentrierenden Team-Kollegen nichts! MJ weiß das und so entstand ja auch die Aussage, dass jeder Batman seinen Robin braucht und den hatte MJ definitv in Scottie Pippen. Das vermeintlich beste Duo im Basketball.
Er weiß das und es scheint ihm selbst im Interview zur Doku-Serie extrem wichtig zu sein, eines ganz deutlich herauszustellen. Ohne Scottie wäre das alles nie passiert. Whenever they talk Michael Jordan they should talk Scottie Pippen!
Ja, vielleicht hat Scottie Recht sauer darüber zu sein, dass diese unrühmliche Szene aus dem Spiel drei der Serie gegen die New York Knicks mit in die Dokumentation gekommen ist. Vielleicht zeigt diese Szene trotz aller Eigennützigkeit aber trotzdem, was für ein uneigennütziger Typ Scottie Pippen als Spieler bei den Bulls war?
Ihm gebührt aus meiner Sicht sehr sehr viel mehr Respekt, denn als Nummer zwei hat man sehr viel mehr Verantwortung, als man von Außen betrachtend glaubt und er ist nachweislich ein extrem wichtiger Bestandteil dieser Bulls-Dynastie gewesen. Bleibt zu hoffen, dass ihm das Leben nun auch im privaten Bereich noch ein einziges Mal zur Seite steht...
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