WILMA oder das Boarding nach Gruppen der Lufthansa

Donnerstag, 01. September 2022
Serie Luftfahrt S2 • E1
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Lesedauer: 7 Minuten

Du kennst das bestimmt auch. Das Boarding für deinen Flug beginnt und wenn sich nicht innerhalb der letzte 30 Minuten bereits eine lange Schlange vor dem Gate entwickelt hat, dann tut sie dies nun.

Du hast erfolgreich deine Boarding-Karte gescannt oder vorgezeigt und dann heißt es erst mal im Rüssel stehen. Im Flugzeug selber spielen sich in der Zwischenzeit unglaubliche Szenen ab. Da ist der Businessmann, der nicht nur sein überdimensioniertes Handgepäckstück, sondern auch noch seine Aktentasche und seinen Mantel verstauen muss und das natürlich nicht nur möglichst knitterfrei, sondern auch in aller Seelenruhe. Dann ist da die ältere Dame, die ihr Handgepäckstück nicht mehr alleine in das Gepäckfach unter der Flugzeugdecke bekommt. Und da ist natürlich die am Fenster sitzende Person, die nach Murphie's Law nach den beiden anderen Fluggästen der gleichen Sitzreihe boarded. Ätzend!

Angesichts der chaotischen Zustände auf deutschen Flughäfen im Moment ist dir vielleicht gar nicht aufgefallen, dass Lufthansa die Zeit der Pandemie nicht nur dazu genutzt hat, das Boarding ihrer Luftfahrzeuge nicht nur durch Bitten wie Wir bitten nun die Passagiere der Reihen 30 bis 20 für das Boarding zum Gate zu uns zu kommen. zu verbessern, sondern dies nun auch technisch beim Scannen der Boarding-Karten durchzusetzen.

WILMA wird der neue Versuch der Lufthansa zur Verbesserung des Boardings und damit der Turnaround-Zeiten ihrer Luftfahrzeuge nun liebevoll genannt. Diese auf Boarding-Gruppen basierende Methodik hab ich vor wie auch nach der Corona-Pandemie mehrfach live erleben müssen. Wofür WILMA steht, wie WILMA funktionieren sollte, welche Erfahrungen ich damit machen durfte und welche Verbesserungsvorschläge ich hätte, das möchte ich in diesem Post mit dir teilen.


Wie alle Airlines, so ist auch die Lufthansa immer darum bemüht, die eigenen Prozesse zu optimieren und dadurch den Einsatz der eigenen Finanzmittel, ihrer Luftfahrzeuge, zu verbessern. D.h. weniger Stillstand der Luftfahrzeuge und da ist gerade auf Kurz- und Mittelstrecken wohl die Zeit zwischen den Flügen, der sogenannte Turnaround, das Zeitfenster, das es zu optimieren gilt.

Nachdem sich andere große amerikanische und europäische Airlines wie British Airways oder Air France dieser Thematik bereits angenommen hatte, beschloss auch die Lufthansa im Sommer 2019 den mit dem Codenamen WILMA versehenen, neuen Boarding-Prozess anzuwenden und damit ab November des gleichen Jahres einen hoffentlich schnellen Weg in den Flieger zu finden. Aber wofür steht jetzt dieser Codename?


Wofür steht die Abkürzung WILMA?

WILMA steht angeblich für Window, Middle, Aisle und damit im Deutschen quasi für Fenster, Mitte, Gang. Jetzt wird sicherlich auch dir die Frage kommen, wofür denn das L im Codenamen steht? Nun... Das überlässt man unserer Phantasie. Sicher ist aber, es klingt besser als WIMA, oder?

Im Prinzip erklären diese drei Worte auch schon das Funktionsprinzip dieser Methode. Aber ist es wirklich so einfach?


Wie funktioniert WILMA grundsätzlich?

Nun, vom Grundprinzip her, sollen erst alle am Fenster sitzenden Fluggäste den Flieger besteigen. Diese dann gefolgt von den mittig sitzenden Fluggästen und dann letztlich die am Gang sitzenden Fluggäste.

Ganz so einfach ist es in der Realität dann aber doch nicht oder besser gesagt, die Lufthansa will es anders!


Wie funktioniert WILMA bei der Lufthansa?

Die Lufthansa unterteilt zur Nutzung der Boarding-Methode WILMA die Fluggäste in fünf, streng genommen sogar sechs Gruppen.
  1. HON Circle Member, Senatoren, Star Alliance Gold Karteninhaber
  2. Business Class Reisende, Economy Flex Reisende
  3. Economy Class Reisende mit Fensterplatz und Begleiter
  4. Economy Class Reisende mit Mittelsitzen und Begleiter
  5. Economy Class Reisende mit Gangplatz
Das sind jetzt nur 5 Gruppen. Aber der Boarding-Prozess der Lufthansa sieht ja auch noch das Pre-Boarding vor, zu dem Familien mit Babys und Kleinkindern unter 5 Jahren, allein reisende Kinder und Reisende mit eingeschränkter Mobilität gehören.

Für die Pre-Boarding-Berechtigten sowie die ersten beiden Boarding-Gruppen gilt dann noch, dass es völlig egal ist, wo die jeweiligen Passagiere im Flieger sitzen. Und auch bei den Gruppen 3 bis 4 gilt, dass etwaige Begleiter mit boarden dürfen.

All das wird nun, nach der Pandemie-bedingten Pause der Luftfahrt auch durch eine entsprechende Software an den elektronischen Gates forciert. Und, funktioniert das Ganze?


Welche Erfahrungen habe ich mit dem Boarding-Prozess WILMA gemacht?

Nun, meine ersten Erfahrungen mit dem Boarding-Prozess WILMA basieren noch auf der technisch nicht forcierten Variante vor Corona und dass die ehrlichen Fluggäste da am Ende die Gekniffenen wahren, sollte wohl Klar sein. Wie eine unüberwachte Minensperre oder nicht durchgesetzte Verkehrsregeln war das Ganze aus meiner Sicht total sinnlos und mit Sicherheit keine Verbesserung. Aber eben auch noch keine Verschlechterung!

Nun durfte ich erstmals nach der Corona-bedingten Flugpause wieder in den Genuss von WILMA kommen und das sogar technisch forciert. Mein Bild ist aber ebenfalls ernüchternd. Nicht nur, dass das Boarding keineswegs schneller geworden ist. Nein, es ist noch langsamer geworden und führte meiner Wahrnehmung nach sowohl bei den Fluggästen als auch Flugbegleiterinnen zu Frust.

Die eingangs von mir geschilderten Situationen gibt es immer noch, weil man eben nicht rein nach Fenster, Mitte Gang vorgeht, sondern aus Kundenservice-Sicht diverse Ausnahmen zulässt, die letztlich einen brauchbaren Ansatz doch wieder sabotieren.

Damit aber ja nicht genug, denn wenn das Boarding zumindest genauso schnell wie früher abliefe, dann wäre ja alles gut, wenn auch überflüssig. Es ist meinem mehrfachen Empfinden nach aber deutlich langsamer geworden und das begründet sich auch darin, dass Fluggäste zwar das Geld für ein Ticket in Höhe von mehreren hundert Euro haben, aber doch deutliche Schwächen im einstelligen Zahlenraum aufweisen.

Traurig aber wahr. Boarding-Gruppen 1 und 2 sind aufgerufen und es stellen sich Personen aus der Gruppe 5 mit an. Dann weigert sich das automatische Gate, den Passagier nach dem Scannen des Boarding-Passes durchzulassen. Er versucht es noch mal und noch mal... Irgendwann bekommt das dann ein Gate-Mitarbeiter mit und weist den Fluggast freundlich aber bestimmt darauf hin, dass er mit Boarding noch nicht dran ist.

Der Fluggast tritt etwas beiseite und es wird nach ein paar Minuten die Boarding-Gruppe 3 aufgerufen. Wer steht wieder am Gate und verzögert das Boarding? Ja, genau... Unglaublich!


Welche Verbesserungsvorschläge zum Boarding hätte ich?

Auf einem Flug von London nach Singapur mit dem damals noch nagelneuen Airbus A380 bin ich Zeuge eines der schnellsten Boardings meiner Luftfahrterfahrung geworden. Nicht nur, das drei Klassen an speziellen Teilgates abgearbeitet wurden. Nein, die Economy Class wurde streng nach in Blöcken von Sitzreihen von Hinten nach Vorne geboardet und das Ganze damals noch vom Personal am Gate manuell forciert. Das ging mit etwa 400 Passagieren in der Holzklasse schneller, als ich je einen Kurzstreckenflieger der Lufthansa geboardet habe!

Ich würde aufgrund der gemachten Erfahrungen und eingebrachter Logik in jedem Falle auf ein blockweise Boarden von Hinten nach Vorne übergehen! Völlig unabhängig von Status und Sitzposition innerhalb einer Reihe. Wenn man Flugpassagiere beispielsweise immer in aus drei Reihen bestehenden Blöcken boarden würde, würde sich auch die Staugefahr im Gang des Luftfahrzeuges beim Boarden deutlich vermindern und damit einer der Hauptgründe für ein schleichend langsames Boarden.

Jetzt wirst du eventuell sagen, dass man aber doch einen Vielflieger, der Business-Class fliegt, nicht bis zu Letzt warten lassen darf, seinen teuren Sitzplatz einzunehmen. Wenn man sich das aber mal genau anschaut, dann haben die Jungs alle die Möglichkeit gemütlich mit einem Glas Sekt in der Launch zu sitzen und kommen daher häufig eh relativ spät ans Gate. Andere kommen aufgrund schlechten Zeitmanagements in letzter Sekunde und spielen bei der Argumentation somit auch keine Rolle... Letztlich bleibt ihnen ja auch noch das Privileg, als erste Fluggäste das Luftfahrzeug zu verlassen.

Unterm Strich für mich absolut einen Versuch wert. Wenn man in der Lage ist, die automatischen Gates nach Klassen zu steuern, dann sollte das mit den Sitzreihenblöcken ja auch kein Problem sein. Außerdem klappt das beim Verlassen des Fliegers ja irgendwie auch sehr verlässlich.


Wie siehst du das? Hast du schon Erfahrungen mit WILMA gemacht und wie sehen diese aus? Wie immer würde ich mich über Beiträge von dir und dein Feedback zu diesem Post sehr freuen.


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